Inwieweit ein zwölfjähriger Jugendlicher, der beim Aussteigen aus einem Bus unachtsam die Straße überquert und deswegen von einem Kraftfahrzeug überfahren wird, eine Teilschuld an dem Unfall erhält, zeigt ein vor Kurzem verkündetes Gerichtsurteil.
24.4.2017 (verpd) Eine Zwölfjährige, die nach dem Aussteigen aus einem Bus unachtsam die Straße überquert und dabei von einem Motorrad überfahren wird, ist trotz ihres Alters überwiegend selbst für die Folgen des Unfalls verantwortlich. Das geht aus einem aktuellen Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart hervor (Az.: 13 U 143/16).
Ein zwölfjähriges Mädchen war spätabends von einem Schulausflug zurückgekehrt. Nach dem Aussteigen aus dem Bus, der die Kinder befördert hatte, überquerte sie die Straße, um zu ihrer auf dem gegenüberliegenden Gehweg wartenden Mutter zu gelangen.
Dabei ging sie hinter dem in diesem Augenblick abfahrenden Bus her, durch den sie verdeckt wurde. Ein mit einer Geschwindigkeit von 40 Stundenkilometern herannahender Motorradfahrer hatte daher keine Chance, das Mädchen rechtzeitig wahrzunehmen und überfuhr es.
Kürzung der Ansprüche wegen Mitverschulden
In ihrer gegen den Motorradfahrer eingereichten Schadenersatz- und Schmerzensgeldklage räumte das Mädchen zwar ein eigenes Mitverschulden ein. Das bemaß sie jedoch mit höchstens 50 Prozent. Denn der Unfall sei für den Motorradfahrer nicht unabwendbar gewesen. Außerdem müsse bei der Frage ihres Verschuldensanteils ihr jugendliches Alter berücksichtigt werden. Dem wollte sich das in erster Instanz mit dem Fall befasste Heilbronner Landgericht nicht anschließen. Es ging davon aus, dass der Unfall für den Motorradfahrer unabwendbar war und wies die Klage ab.
Mit ihrer hiergegen beim Stuttgarter Oberlandesgericht eingereichten Berufung errang die jugendliche Klägerin einen Teilerfolg. Nach Ansicht der Richter stehen am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmende Kinder zwar unter einem besonderen gesetzlichen Schutz. Jugendliche im Alter zwischen zwölf und 18 Jahren, die bei einem Verkehrsunfall zu Schaden kommen, müssten sich in der Regel jedoch eine Kürzung ihrer Ansprüche gefallen lassen, wenn sie ein Mitverschulden treffe.
Bei der Frage eines Mitverschuldens sei jedoch zu berücksichtigen, dass ein Fehlverhalten im Straßenverkehr insbesondere bei jüngeren Jugendlichen weniger schwer wiegt als bei Erwachsenen. Außerdem habe sich der Führer eines Kraftfahrzeugs gegenüber Kindern durch Verminderung der Fahrgeschwindigkeit und durch Bremsbereitschaft so zu verhalten, dass ihre Gefährdung ausgeschlossen ist. Die Grenze liege bei circa 14 Jahren.
Kein Anlass zu besonderer Vorsicht
In dem entschiedenen Fall müsse davon ausgegangen werden, dass die Klägerin unter Missachtung ihrer Verpflichtung, eine Fahrbahn nur bei Beachtung des Fahrzeugverkehrs überqueren zu dürfen, die Straße hinter dem Bus betreten hat. Der beklagte Motorradfahrer sei weder zu schnell gefahren noch habe er einen Anlass zu der Annahme gehabt, dass aus dem Bus aussteigende Fahrgäste unbedacht die Straße überqueren würden.
Der Bus sei auch nicht als Schulbus gekennzeichnet gewesen. Es habe sich vielmehr um einen Reisebus gehandelt. An dem Haltepunkt sei außerdem nur ein Junge zusammen mit der Klägerin aus dem Bus ausgestiegen, sodass kein Anlass zur besonderen Vorsicht im Hinblick auf eine größere Anzahl von Kindern bestanden habe.
Die Richter stimmten daher mit der Vorinstanz darin überein, dass dem beklagten Motorradfahrer kein Verschulden an dem Unfall nachgewiesen werden kann. Angesichts der Gesamtumstände hielt es das Gericht gleichwohl für unangemessen, die Betriebsgefahr des Motorrades gänzlich unberücksichtigt zu lassen. Die Richter hielten daher eine Haftungsverteilung von einem Drittel zu zwei Dritteln zulasten der Klägerin für angemessen. Eine Revision gegen seine Entscheidung ließ das Gericht nicht zu.
Privater Schutz
Wie das Gerichtsurteil zeigt, kann man sich nicht immer darauf verlassen, dass bei einem Verkehrsunfall ein anderer für den dabei erlittenen Schaden aufkommt – selbst wenn der Verunfallte ein Jugendlicher ist.
Auch die gesetzliche Absicherung reicht häufig nicht aus, um beispielsweise die finanziellen Folgen, die eine unfallbedingte Invalidität mit sich bringt, vollständig abzudecken.
Die private Versicherungswirtschaft bietet diesbezüglich zahlreiche Lösungen an, um auch bei dramatischen Unfallfolgen zumindest finanziell abgesichert zu sein. Zu nennen sind hier unter anderem eine private Unfall-, aber auch eine Erwerbsunfähigkeits-Versicherung, die bereits für Kinder sinnvoll sind.