Dass es auf deutschen Autobahnen – anders als bei den europäischen Nachbarn – keine einheitliche Geschwindigkeits-Begrenzung gibt, hat nicht nur Vorteile. Das belegt ein Urteil des Wiesbadener Landgerichts in einem Haftungsstreit.
27.3.2017 (verpd) Ein Autofahrer, der die auf deutschen Autobahnen geltende Richtgeschwindigkeit von 130 Stundenkilometern überschreitet und deswegen in einen Unfall verwickelt wird, muss einen Teil seines Schadens selber bezahlen. Das hat das Landgericht Wiesbaden mit einem jetzt bekannt gewordenen Urteil entschieden (Az.: 8 O 94/14).
Ein Mann war mit seinem Fahrzeug auf einem Autobahnabschnitt unterwegs, auf dem keinerlei Geschwindigkeits-Begrenzungen galten. Die von ihm gefahrene Geschwindigkeit betrug etwa 120 Stundenkilometer. Als er ein vor ihm fahrendes langsameres Fahrzeug überholen wollte und dazu auf die linke Fahrspur wechselte, kam es zu einer Kollision mit einem von hinten kommenden Pkw, dessen Geschwindigkeit zwischen 170 und 180 Stundenkilometern betrug.
Der Mann, der bereits auf der linken Fahrspur schnell unterwegs war, vertrat die Ansicht, dass es zu dem Unfall nur deswegen gekommen sei, weil der Überholende einen groben Verkehrsverstoß begangen hatte. Doch der Kfz-Haftpflichtversicherer des Überholenden wollte sich nur mit einer Quote von 75 Prozent an den gegnerischen Aufwendungen beteiligen.
Haftung aus Betriebsgefahr
Das begründete der Kfz-Versicherer damit, dass der Unfall für den Fahrer des von hinten kommenden Fahrzeugs nicht unabwendbar war. Denn hätte dieser die auf deutschen Autobahnen geltende Richtgeschwindigkeit von 130 Stundenkilometern eingehalten, wäre der Unfall zu vermeiden gewesen. Dem schloss sich das Wiesbadener Landgericht an. Es wies die Klage des Fahrers, der mit weit über der Richtgeschwindigkeit auf der linken Fahrbahn unterwegs war, auf Zahlung der restlichen 25 Prozent als unbegründet zurück.
Nach Ansicht des Gerichts ist der Unfall zwar ganz überwiegend auf das Fehlverhalten des Beklagten, also des Fahrers, der mit 120 Stundenkilometer auf die linke Fahrspur zog, um einen anderen zu überholen, zurückzuführen. Der Kläger hafte jedoch aus der Betriebsgefahr seines Pkws. Ein vom Gericht befragter Gutachter hatte nämlich ermittelt, dass der Auffahrunfall für den Kläger beim Einhalten der Richtgeschwindigkeit von 130 Stundenkilometern selbst dann noch zu vermeiden gewesen wäre, wenn der Beklagte nicht mit 120, sondern mit 100 Stundenkilometern überholt hätte.
Wird aber ein Kraftfahrer, der die Richtgeschwindigkeit von 130 Stundenkilometern überschritten hat, in einen Unfall verwickelt, so kann er sich nach Meinung der Richter nur unter ganz bestimmten Umständen auf ein für ihn unabwendbares Ereignis berufen. Dazu muss er nachweisen können, dass es auch bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit zu einem Unfall mit vergleichbar schweren Folgen gekommen wäre.
Vergleichbarer Fall
„Denn nur wer die Richtgeschwindigkeit einhält, verhält sich als Idealfahrer. Wer hingegen schneller als 130 Stundenkilometer fährt, vergrößert in haftungsrelevanter Weise die Gefahr, dass sich ein anderer Verkehrsteilnehmer auf diese Fahrweise nicht einstellt und insbesondere die Geschwindigkeit unterschätzt“, heißt es dazu in der Urteilsbegründung.
Das Koblenzer Oberlandesgericht war im Oktober 2013 in einem ähnlich gelagerten Fall zu einem gleichartigen Urteil gelangt.
Der Unfall hatte sich in diesem Fall bei Dunkelheit ereignet. Außerdem war der Auffahrende mit gut 200 Stundenkilometern auf der Überholspur unterwegs. Das Gericht lastete ihm daher ein Mitverschulden von 40 Prozent an.